face your fears
- Manuel Bohn

- 28. Juli
- 5 Min. Lesezeit

Angst und Wachstum - Was kinder nicht wissen...
In einer kalten Winternacht (ja - ein paar davon gibt’s manchmal noch) bittet mich meine Tochter, sie in den Wald zu begleiten. Sie fährt im Auto noch auf Sitzerhöhungen und schläft häufig in unserem Bett weil sie sich nachts fürchtet.
Es ist ein nebliger, beißend frostiger und windiger Tag - nicht gerade das Wetter, das einen aus dem gemütlichen Wohnzimmer lockt. Aber ich folge ihrer Bitte, in dem Wunsch, mit ihr Verbindung aufzubauen und ihre Neugier zu unterstützen - natürlich - ich will ja ein guter Vater sein.
Wir packen uns warm ein und gehen raus zum Waldrand, einige hundert Meter vom Haus entfernt. Weg von den Lichtern
immer in Richtung Dunkelheit
Eigentlich wirkts genau wie der Beginn jeder guten Gruselgeschichte - eisige Winde, gespenstische Stille und eine Dunkelheit im Nebel, die uns zu verschlucken droht. Auch die Bäume wirken bedrohlich: Große, dunkle Schatten.
Der Ort, in dem wir wohnen ist inzwischen schon vom Nebel hinter uns verschlungen. Mir ist kalt und ich ziehe die Schultern hoch - als ob das irgendwas wärmer machen würde.
Wir gehen still zwischen den Bäumen hindurch - ein paar Schritte voneinander entfernt.
Komisch irgendwie, hier heraussen, so weit weg vom schützenden zuhause. Besonders mit einem Kind fühlt es sich noch gefährlicher an. Eigentlich ist es ein lichter Wald, hohe Nadelbäume, die im dunkeln aussehen wie stumme Wächter. Nach dem letzten Sturm wurden einige gefallene Fichten entfernt, jetzt wirkt der Wald schutzloser, exponierter, gerade jetzt sogar bedrohlich auf mich.
Ich bin hellwach und meine Aufmerksamkeit ist bei meiner Tochter.
Ich versuche, ihr diese Erfahrung zu lassen ohne sie zu beeinflussen oder ihr dabei im Weg zu sein.
Wir gehen zwischen den Bäumen durch.
Dann bleibt sie stehen.
Dichter Nebel.
Stille.
Dunkelheit.
Nach einer scheinbar endlosen Zeit höre ich eine zaghafte und zittrige Stimme:
"Papa, ich hab Angst!"
Endlich!
Der Superheld in mir erwacht und denkt: "Keine Angst! Ich werde dich retten und mich ganz heldenhaft benehmen!”
oder so ähnlich…
Aber ich reagiere nicht.
Ich rette sie nicht heroisch aus dieser Dunkelheit und versuchte nicht, ihre Angst zu besänftigen. Kein “keine Angst, sind nur Bäume” oder “soll ich dich nach Hause bringen” verlässt meine Lippen.
Ich gehe nicht einmal zu ihr, um sie zu trösten. In diesem Moment stehe ich einfach nur da und lasse ihr die Bühne - darf einfach nur beobachten.
Diesmal ziehe ich die Aufmerksamkeit nicht auf mich sondern bleibe bei ihr.
Ich weiß, sie würde Schutz suchen, wenn sie das will - oder sagen, dass sie nach Hause will.
Aber das tut sie nicht.
Sie steht einfach da, ein paar Meter von mir entfernt.
Sie lauscht.
Steht da mit ihrer Angst - mit den Bildern, die ihre Fantasie in diesen dunklen Wald projiziert. Sie sieht die Bewegungen, die sie zwischen den Bäumen vermutet. Hört Geräusche von was weiß ich was für Kreaturen.
Wow! “Ganz schön mutig”, denkt mein - von viel zu vielen Fernsehbildern konditioniertes - Hirn.
Vielleicht bin das nur ich,aber: Ich bin Ende dreißig und sehe da ganz schön viele schreckliche Wesen im Dunklen hinter den Bäumen.
Natürlich gibt es Angst an diesem Ort. Ich spüre sie ja selbst, wenn ich ganz ehrlich bin. Wahrscheinlich spürt sie auch der Fuchs oder der Hase oder jedes andere Tier, das in dem Moment da draußen sitzt. Angst musst an diesem Ort sein.
Es würde sich ja auch völlig falsch anfühlen, wenn sie nicht dabei wäre. Eigentlich wärs ne Themenverfehlung wenn man da stünde und sagt:”Hui, wie kuschelig es hier ist!”
Aber anstatt das zu tun, was meine Konditionierung, mein Impuls mir sagte: sie zu “retten”, abzulenken, zu trösten - hatte ich in dem Moment das Glück zu sehen,
wie man als Kind mit Angst umzugehen lernen kann:
Ich beobachte, wie dieses quasi schutzlose kleine Menschenwesen ihrer eigenen Angst mit dem Mut einer Bärin begegnet. Sie unternimmt nichts, flüchtet nicht, lenkt sich nicht ab sondern horcht.
Sie hat Angst - aber sie leidet nicht darunter!
In diesem Moment wird mir bewusst, wie erstaunlich es ist, Angst einfach als ein weiteres Gefühl zu sehen. Wie Leiden oder Vermeidung uns davon abhalten, diese Energie im Körper wirklich zu verarbeiten.
Natürlich gibt es Angst an diesem Ort. Es ist DER Ort für Angst. Selbst ich fühlte mich dort nicht wohl. Aber letztendlich - ist es
nur Angst.
Wie sehr wir uns selbst konditionieren, die Ängste aus unserem Leben zu verbannen. Ihnen auszuweichen, die Auslöser zu vermeiden. Ist ja viel bequemer so.
Später - auf unserem Rückweg - wirkt sie etwas größer als sonst. Sie ist stolz auf sich. Hat diese Erfahrung gerade in ein kleines Juwel emotionaler Meisterschaft verwandelt. Ich gehe neben ihr her und bewunderte ihren Mut. Es war nicht einmal Mut - in ihr schien es einfach eine Erfahrung zu sein, die mein eigener, konditionierter Verstand als negativ oder unangenehm beurteilt.
Für sie ist es nur eine weitere Emotion im Erfahrungsschatz.
Seit diesem Moment an hat sie sich verändert. Wurde selbstbewusster im Handeln. Wurde viel selbstständiger, wenn es um Aufgaben ging, die in die "könnte-gruselig-sein"-Kategorie fielen. Diese Selbstermächtigung wurde zu einem neuen Werkzeug in ihrer Toolbox.
Mir wurde klar, dass auch ich das in meiner Toolbox haben möchte. Dass Angst ermächtigend sein kann, anstatt ein Grund für Leiden. Dass Gemütlichkeit auch das ist:
Die Reduzierung meiner Komfortzone auf die Bereiche meines Lebens, in denen Angst einfach nicht existiert.
mEine takeaways
Es gibt so viel daraus zu lernen - in den Wochen nach dieser Nacht wurde mir selbst bewusst, wie ungewöhnlich es ist, in unserem Erwachsenenleben zu den gruseligen, unbequemen Orten zu gehen.
Manchmal simulieren wir das Gefühl durch Medien oder die langsam wachsende "Weltuntergangs-Angst", aber nehmen wir uns regelmäßig Zeit, unsere eigene Komfortzone zu konfrontieren? Unsere Ängste aktiv aufzusuchen?
Wie oft investieren wir darin, dieser mit Angst verbundenen Ungewissheit wirklich vollständig zu begegnen? Bringen wir uns selbst in unbequeme Situationen, um unsere Komfortzone zu erweitern?
Vielleicht liest du das und denkst dir: “Ich hab keine Angst!”
Großartig, dann lass dein Handy für eine Woche abgedreht
oder geh nachts Eisbaden
oder iss mal 3 Tage lang nix: ab jetzt
oder steh mal für ne Stunde da ohne irgendetwas zu tun
Wir machen es uns in so vielen verschiedenen Bereichen bequem, dass wir in ein Dilemma geraten sind: Um vital und glücklich zu sein, brauchen wir Herausforderungen, wir brauchen eine große, weite, vielseitige, anpassungsfähige Komfortzone, unser Körper braucht das.
Aber wir ignorieren gern alles, was uns über das scheinbar absolut Notwendige hinaus herausfordern könnte.
Letztlich ist Angst ja immer die Angst davor, zu sterben - die Identität oder die persönliche Geschichte zu riskieren. Angst vor Energieverlust. Angst vor dem Unbequemen. Angst vor dem Unbekannten.
Angst kann sich auch als Diskomfort tarnen. Manchmal ist Angst auch nur das Veränderung vermeiden wollen.
Aber immer ist es letztlich die Angst vor dem Tod, die uns den Komfort festhalten lässt.
Das lässt sich leicht überprüfen:
Stell dir diese Fragen:
Wovor hast du Angst? Was willst du keinesfalls tun?
Warum?
Warum?
Warum?
…
Aber weil Angst so ein hässliches oder großes Wort ist, nennen wir es halt: Unbequem.
Ich habe vor kurzem eine spannende Aussage vom Dalai Lama zum Thema Angst und Selbstermächtigung gehört, die ich zum Abschluss noch teilen will:
Um Angst zu besiegen können wir aus dem Leid eine Herausforderung machen.
Diese Geschichte mit meiner Tochter erinnert mich daran, dass manchmal unsere größten Lehrer die sind, die wir zu lehren glauben.
Und dass Wachstum und Freiheit oft dort beginnt, wo unser Komfort endet.



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