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Moshpit, Mitgefühl und Moleküle

Heaven Shall Burn, With Full Force 2012
Heaven Shall Burn, With Full Force 2012

Dieser Blogpost dreht sich um ein Thema, das auf den ersten Blick nicht viel mit den Dingen zu tun hat, über die wir uns hier sonst Gedanken machen. Doch auf den zweiten Blick passt es fast besser zu uns als alles andere:Es geht um Musik.

Die Idee für diesen Artikel entstand mitten im Staub, Schweiß und Bass – auf dem Nova Rock Festival, mit zigtausenden Menschen um mich herum.


Ich hab bei Linkin Park mitgegrölt, bin durch den Circle Pit bei Heaven Shall Burn gelaufen, hab zu Electric Callboy getanzt – kurz gesagt: Ich wurde mal wieder von der Wucht und Energie von Live-Musik überrollt.

Wer mich kennt, weiß: Ich war, bin und werde hoffentlich für immer auf Konzerten und Festivals unterwegs sein. Mein Musikgeschmack ist dabei nicht immer massentauglich – ich bin stark im Metal-Genre zuhause. Und ja, da kann’s schon mal härter zugehen. Für Außenstehende wirkt es vielleicht etwas verstörend, wenn sich Menschen in einem Moshpit zu brachialen Klängen gegenseitig halb verprügeln. Aber ich kann aus jahrelanger Erfahrung sagen:Wir Metalheads sind ein verdammt friedliches Volk. Oder wie August Burns Red so schön gesagt haben:

“Angry music for happy people.”

Auch in meinem Freundeskreis spielt Musik eine zentrale Rolle. Manche von uns sind schon seit über 20 Jahren gemeinsam auf Konzerten. Das schweißt zusammen. Wir haben uns nicht nur mit der Musik identifiziert, sondern mit allem, was sie verkörpert. Wir sahen anders aus, hatten andere Frisuren, andere Haarfarben (ich hatte übrigens alle). Aber auf Konzerten waren wir unter Gleichgesinnten – und da war sofort diese Verbundenheit.

“We are the diamonds that choose to stay coal… Forever the underdogs.”


Parkway Drive

Und das ist das Schöne im Metal (und sicher auch in vielen anderen Genres):Es ist völlig egal, wo du herkommst, wie du aussiehst oder wen du liebst – in der Musik waren wir immer vereint. Und wir werden es bleiben.

Ich borge mir hier gerne die Worte von Judas Priest-Frontmann Rob Halford aus:

"I’m the gay guy in the band… You see, that is what heavy metal is all about. We call ourselves the heavy metal community, which is all-inclusive, no matter what your sexual identity is, what you look like, the colour of your skin, the faith that you believe or don’t believe in. Everybody’s welcome."

Auch mit meiner Frau teile ich einen ziemlich ähnlichen Musikgeschmack. Wir waren gemeinsam schon auf unzähligen Konzerten – und das hat uns im Laufe unserer Beziehung immer wieder näher zusammengebracht.

Okay, vielleicht bin ich inzwischen musikalisch etwas härter unterwegs als sie. Aber es gibt noch genug Bands, zu denen wir liebend gern gemeinsam gehen. Ich bin ja schließlich nicht ausschließlich im Metal zuhause. Und solange ich sie nicht zu Lorna Shore zwinge, ist eigentlich alles gut.


Musik hat also nicht nur meine Beziehung geprägt, sondern begleitet mich schon mein ganzes Leben lang – von klein auf. Dank meinem Vater bin ich früh mit Rock in Berührung gekommen. Mein erstes großes Konzert waren die Rolling Stones – mit 13. Ich bin ihm auch heute noch dankbar, dass er mir diese Musik richtig nähergebracht hat.

Oasis, Manchester 2025
Oasis, Manchester 2025

Die erste Idee für diesen Artikel kam zwar am Nova Rock – aber die konkreten Gedanken haben sich erst ein paar Wochen später bei Oasis in Manchester so richtig geformt.(Wofür ich übrigens meinem Bruder sehr dankbar bin – er hat die Karten organisiert.)

Was ich dort erlebt habe, war... anders. Und ich meine gar nicht das Konzert an sich – das war großartig und hat mich endgültig zum Oasis-Fan gemacht. Ich meine das Drumherum: Die ganze Stadt war im Oasis-Fieber. Jedes Pub, jeder Supermarkt, jede zweite Person mit Shirt oder Bucket Hat – als wäre Manchester selbst ein Bandmitglied.

Man hat sich einfach als Teil von etwas Größerem gefühlt. Und das... weil zwei alte weiße Männer, die sich die letzten 16 Jahren gegenseitig nicht mal „Happy Birthday“ geschrieben haben, zumindest nicht ohne Anwalt, sich jetzt wieder vertragen.

“I need to be myself, I can’t be no one else.”


Oasis

Wie komme ich jetzt eigentlich dazu, einen Artikel über Musik zu schreiben?

Singen kann ich – vor allem laut und falsch. Ich habe öfter mit dem Gitarrespielen aufgehört als angefangen. Und wenn ich tanze, sieht es aus, als hätte mir jemand einen Elektroschocker umgehängt – und drückt absichtlich nicht im Takt.

Was ich kann, ist Dinge verbinden. Und mir Fragen stellen. Zum Beispiel:

  • Warum hat jede Kultur auf der Welt Musik?

  • Warum zieht uns Live-Musik so dermaßen in ihren Bann, dass wir Dixi-Klos, Sonnenstich und überteuertes Bier klaglos hinnehmen?

  • Und was passiert da eigentlich wirklich in uns, wenn wir Musik hören oder machen?

Ich weiß – ganz schön lange Einleitung. Aber hey, vielleicht hab ich’s geschafft, schon eine Emotion in dir auszulösen. Dann bin ich genau richtig unterwegs.


“Music the great communicator – use two sticks to make it in the nature.”


Red Hot Chili Peppers


Musik ist kein Luxus, sondern Überlebensstrategie

Musik ist kein “Nice-to-have” der Zivilisation – sie ist tief in unserer evolutionären DNA verwurzelt. Lange bevor wir schreiben oder rechnen konnten, haben wir gesungen, getrommelt, getanzt.

Warum?

Weil Musik mehr war als Unterhaltung. Sie war Überlebensstrategie, Bindemittel, Bioregulator und soziales Signal in einem.


Musik formt Gemeinschaft – und Gemeinschaft sichert das Überleben

  • In frühen Jäger-und-Sammler-Gruppen war Koordination essenziell: beim Jagen, beim Feiern, beim Verteidigen.

  • Gemeinsames Singen oder Trommeln war kein nettes Freizeitprogramm – es war ein Werkzeug zur Synchronisation.

  • Musik regelte Rituale, half bei Trauer, gab Mut oder feierte das Leben.

Musik war (und ist) ein soziales Neurohacking-Tool.
Parkway Drive, Stadthalle Wien, 2022
Parkway Drive, Stadthalle Wien, 2022

Was passiert jetzt physiologisch, wenn wir Musik hören oder machen?

Musik ist Biochemie pur – aber eben nicht trocken, sondern ziemlich geil.


Dopamin – Belohnung & Motivation

Wenn du beim Refrain Gänsehaut bekommst oder auf den Drop wartest und er dann endlich kommt – zack, Dopamin-Schub. Musik aktiviert unser Belohnungssystem (v. a. den Nucleus accumbens) genau wie gutes Essen, Sex oder ein Insta-Like – nur halt mit deutlich mehr Tiefgang. Und das Beste: Schon das Erwarten von einem musikalischen Highlight reicht aus, um das System anzuwerfen.

Oxytocin – Verbindung & Vertrauen

Gemeinsam singen, tanzen, moshen – das verbindet. Und zwar messbar: Der Körper schüttet dabei Oxytocin aus – unser Bindungshormon. Das macht uns zugänglicher, vertrauensvoller, beruhigter. Oder anders gesagt: Musik ist ein soziales Schmerzmittel.

Serotonin – Stimmung & Ruhe

Ruhige Rhythmen? Repetitive Melodien? Das hebt Serotonin – du wirst entspannter, stabiler, sortierter. Vielleicht hat also nicht nur das Bier dafür gesorgt, dass du nach dem Konzert plötzlich wieder klar denken konntest.

Adrenalin & Noradrenalin – Fokus & Drive

Schnelle Beats, treibender Rhythmus, hämmernde Gitarrenriffs – und dein sympathisches Nervensystem ist on fire. Herzfrequenz geht hoch, du bist fokussierter, wacher, schneller im Reaktionsmodus. Deshalb funktioniert aggressive Musik beim Sport oder im Pit so gut: Sie schaltet dich auf Jagdmodus.

Vagus, Herz & Atem – Musik reguliert dein System

Langsamer Beat → langsamer Atem → mehr Vagus-Aktivität → weniger Cortisol. Heißt: Musik beruhigt dich. Besonders, wenn du selbst mitsingst – egal ob auf der Bühne oder in der Dusche.

Studien zeigen: Beim gemeinsamen Singen synchronisieren sich Puls, Atemfrequenz & Hirnwellen – und deine HRV steigt. Klingt nerdy, ist aber: Ein Zeichen für Resilienz und innere Stabilität.

Musik & Immunsystem

  • Stress runter, Immunsystem rauf – so einfach kann’s sein.

    • Musik senkt Cortisol, besonders wenn sie emotional „deins“ ist – egal ob Klassik, Metal oder Techno.

    • Musik erhöht sekretorisches IgA, einen wichtigen Antikörper auf den Schleimhäuten.

    • Musiktherapie steigert sogar NK-Zellen (natürliche Killerzellen) – also echte Booster für dein Immunsystem.

Muskeltonus, Bewegung & Flow

Dein Kleinhirn liebt Rhythmus. Langsamer Takt → Entspannung. Schneller Takt → Spannung. Sogar in der Parkinsontherapie wird Musik eingesetzt – weil Menschen mit Rhythmus besser gehen können als ohne.

“Where do I begin? I’m learning to walk again.”


Foo Fighters

Synchronisation – der gemeinsame Groove

Wenn Menschen gemeinsam singen, tanzen oder im selben Takt klatschen, passiert’s:Wir synchronisieren uns.

  • Atem

  • Puls

  • Muskeltonus

  • Hirnwellen

Das erzeugt diesen Moment von „Wir sind eins“. Du nennst es Vibe. Neurobiologen nennen es „körpereigene Resonanzphänomene“. Klingt ja viel einfacher und leichter als Vibe....

Und das Spannende: Je synchronisierter wir sind, desto sozialer, kooperativer und empathischer verhalten wir uns danach. Das ist messbar. Musik macht uns also – im wahrsten Sinne – besser miteinander.

Neuroplastizität – Wie Musik dein Gehrin umbaut

Menschen, die regelmäßig musizieren, haben messbar mehr Substanz in bestimmten Hirnarealen – z. B. im Hörzentrum, im motorischen Kortex, in Bereichen für Sprache und Emotion. Aber auch Hören allein kann viel: Musik trainiert unser Hirn wie ein Full-Body-Workout.

Sie verbessert:

  • Sprachverarbeitung

  • Gedächtnis

  • Multitasking

  • Emotionale Regulation


Oder kurz: Musik macht schlau, sozial und stabil.

In der KPNI beschäftigen wir uns viel mit dem Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Viele Studien zeigen, dass genau dieses Gefühl Entzündungswerte und Stresslevel senken kann, das Immunsystem reguliert – und sogar den psychischen Gesundheitszustand verbessert.

Ob das in der Kirche, im Fußballstadion, bei einem Ritual oder eben durch Musik passiert, ist dabei völlig egal. Was zählt, ist das Gefühl von Zugehörigkeit.

Und dieses Gefühl ist nicht nur inspirierend – es wirkt körperlich spürbar:

  • Weniger Stress = besseres Immunsystem

  • Mehr Sinn = bessere Resilienz

  • Echtes Mitgefühl = geringere Entzündungswerte

Gemeinschaft, egal welcher Art, ist ein psychobiologischer Schlüssel – für Heilung, für Sinn, für ein erfülltes Leben.


Musik ist also mehr als begleit Soundtrack für das Leben.


Sie ist Leben.


Sie war da, als wir noch ums Feuer getanzt haben. Sie war da, als wir Liebeskummer hatten. Sie war da, wenn wir nicht wussten, wie wir uns ausdrücken sollen.


Und sie wird da sein – beim nächsten Konzert, beim nächsten Roadtrip, beim nächsten „Was war das für ein geiler Abend?“.


Vielleicht ist Musik einfach der letzte Beweis,


dass Menschen dafür gemacht sind, zusammen zu schwingen.

“I reserve my right to feel uncomfortable, reserve my right to be afraid. I make mistakes and I am humbled every step of the way.”


A Day to Remember

A Day to Remember, Arena Wien, 2025
A Day to Remember, Arena Wien, 2025

 
 
 

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