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Kaffee: Wundermittel oder täglicher Energieräuber?

pehrenberger


Kannst du dich noch an deinen ersten Kaffee erinnern?

Hat er dir geschmeckt? Wahrscheinlich nicht besonders. Und trotzdem trinkst du ihn heute wahrscheinlich regelmäßig.

Es gibt Dinge, die gehören einfach zum Leben dazu: Die Sonne geht auf, die Bahn kommt zu spät, und der erste Kaffee am Morgen rettet den Tag – oder?

Jeder kennt diesen einen Freund, der ohne seinen Morgenkaffee nicht ansprechbar ist. Oder dieses verzweifelte „Ich brauch jetzt einen Kaffee!“, wenn das Nachmittagsloch zuschlägt.

Die Frage ist: Tut uns Kaffee wirklich so gut, oder sind wir alle Teil eines weltweiten Experiments, das niemand so richtig hinterfragt?

Bevor wir richtig einsteigen, lass mich noch eine kleine Geschichte aus meiner Kaffee-Vergangenheit erzählen.


Mein Selbstexperiment: 8 Wochen ohne Kaffee – und was dann passierte

Ich war lange Zeit ein klassischer Viel-Kaffeetrinker. Mein Tag begann mit einem doppelten Espresso, in der Arbeit folgte der nächste, zwischendurch nochmal zwei schnelle Espressi, und wenn am Nachmittag die Sonne schön schien, gab es vielleicht noch einen Kaffee mit Eiswürfeln. Alles ganz normal – dachte ich zumindest.

Dann stieß ich auf diesen Artikel, der mich zum Nachdenken brachte. Die Botschaft war simpel: „Probier doch mal vier bis acht Wochen ohne Kaffee aus und schau, was passiert.“ Das klang nach einer spannenden Herausforderung, also legte ich los.

Ich muss sagen, es war leichter als gedacht – ein klassischer Koffeinentzug blieb mir erspart. Nach etwa zwei Wochen passierte dann etwas Erstaunliches. Ich wachte morgens auf und war sofort da. Kein Trägheitsgefühl, kein stundenlanges Hochfahren. Wer mich kennt, weiß: Das war nicht immer so. Ich habe früher bis Mittag gebraucht, um wirklich wach zu sein. Plötzlich hatte ich den ganzen Tag über konstante Energie, ohne das typische Nachmittagsloch, das mich vorher regelmäßig erwischt hatte.

Auch mein Schlaf verbesserte sich enorm. Früher lag ich oft abends wach, gedanklich noch im Tag verhaftet. Ohne Kaffee schlief ich schneller ein und wachte erholter auf.

Das war der Moment, in dem ich realisierte: Kaffee hatte mich jahrelang nicht nur wach gehalten – er hatte mich auch ausgelaugt.

Nach eineinhalb Jahren fast ohne Kaffee trinke ich ihn jetzt wieder, aber ganz bewusst. Ich verwende ihn gezielt, wenn ich ihn brauche – zum Beispiel für eine intensive Arbeitsphase oder ein hartes Training. Aber er ist kein tägliches Ritual mehr, keine Krücke, auf die ich mich verlassen muss.

Was ich aus diesem Experiment gelernt habe? Kaffee ist mächtig, aber er ist kein Grundnahrungsmittel. Wer das Gefühl hat, ohne Kaffee nicht zu funktionieren, sollte sich vielleicht genau das mal hinterfragen. Ich kann es nur empfehlen: Einfach mal ein paar Wochen darauf verzichten und schauen, was passiert. Vielleicht bist du danach genauso überrascht wie ich.


Nun aber rein ins Thema!

Wie viel Kaffee trinken wir? Zahlen und Fakten

Kaffee ist nach Erdöl der zweitmeistgehandelte Rohstoff der Welt.

Weltweit werden jährlich über 10 Milliarden Kilogramm Kaffee produziert. Und in Österreich? Drei Tassen pro Kopf am Tag – das sind über 1000 Tassen im Jahr.

Der durchschnittliche Österreicher gibt etwa 250 Euro pro Jahr für Kaffee aus. Kaffee ist nach Wasser das meistgetrunkene Getränk in Österreich. Ja, ich war auch überrascht, dass es nicht Bier ist.

Aber warum trinken wir eigentlich Kaffee?


Die Biochemie hinter Kaffee – The good, the bad and the ugly



Fangen wir mal positiv an.


Die positiven Effekte von Kaffee – mehr als nur ein Wachmacher

Trotz aller Kritikpunkte gibt es gute Gründe, warum Kaffee so beliebt ist – und das nicht nur wegen der Gewohnheit. Kaffee hat einige wissenschaftlich belegte positive Effekte, wenn er in der richtigen Dosis konsumiert wird.


Einer der bekanntesten Vorteile ist die kurzfristige Steigerung der mentalen Leistungsfähigkeit. Koffein verbessert die Wachsamkeit, fördert die Konzentration und kann das Reaktionsvermögen erhöhen. Wer eine wichtige Aufgabe vor sich hat, kann mit einer Tasse Kaffee oft fokussierter arbeiten.


Auch auf die körperliche Leistungsfähigkeit hat Kaffee positive Auswirkungen. Er steigert die Produktion von Adrenalin, wodurch der Körper mehr Energie mobilisiert. Das führt dazu, dass Sportler nach der Einnahme von Koffein oft länger durchhalten und mehr Leistung abrufen können.


Ein weiterer spannender Punkt ist der Einfluss auf Neurodegeneration. Studien zeigen, dass regelmäßiger Kaffeekonsum mit einem geringeren Risiko für Alzheimer und Parkinson in Verbindung gebracht wird. Die enthaltenen Polyphenole und Antioxidantien haben eine schützende Wirkung auf die Nervenzellen und können helfen, Entzündungen im Gehirn zu reduzieren.


Kaffee kann auch eine schutzende Wirkung auf die Leber haben. Besonders Menschen, die zu Fettleber oder Lebererkrankungen neigen, könnten von moderatem Kaffeekonsum profitieren, da Kaffee bestimmte Enzyme aktiviert, die die Leberfunktion verbessern.


Auch das viel diskutierte Thema Diabetesrisiko verdient Aufmerksamkeit. Während Kaffee kurzfristig die Insulinsensitivität senken kann, zeigen Langzeitstudien, dass regelmäßiger Kaffeekonsum mit einem geringeren Risiko für Typ-2-Diabetes einhergeht. Vermutlich liegt das an den enthaltenen Antioxidantien, die entzündungshemmend wirken und den Zuckerstoffwechsel positiv beeinflussen.


Ein weiterer positiver Punkt ist die Aktivierung des Nrf2-Systems. Nrf2 ist ein zellulärer Schutzmechanismus, der die Bildung von Antioxidantien und Entgiftungsenzymen ankurbelt. Kaffee aktiviert diesen Mechanismus ähnlich wie andere Hormesis-Reize – also leichte Stressoren wie Kälte, Hitze oder Fasten. In moderaten Mengen könnte Kaffee also eine mild schützende Wirkung auf den Körper haben.


Zusammengefasst: Kaffee hat durchaus Vorteile, aber die Dosis macht das Gift. Wer ihn bewusst einsetzt – etwa vor dem Sport, in stressigen Arbeitsphasen oder als gezielten Performance-Booster – kann die positiven Effekte nutzen, ohne die negativen Konsequenzen in Kauf zu nehmen.

Nun aber zur dunklen Seite. Einige der oben genannten Argumente kann man auch schnell mal umdrehen.


Kaffee blockiert Müdigkeit – aber auf Umwegen

Adenosin ist ein kleines Molekül, das sich im Gehirn ansammelt, je länger wir wach sind. Wenn der Pegel hoch genug ist, signalisiert unser Körper: „Zeit für eine Pause!“

Kaffee tritt auf die Bühne und blockiert die Adenosin-Rezeptoren. Das bedeutet, dass unser Gehirn die Müdigkeitssignale nicht mehr wahrnimmt – wir fühlen uns plötzlich wacher und fokussierter.

Doch der Körper ist schlauer als wir. Wenn wir ständig Kaffee trinken, fängt er an, mehr Adenosin-Rezeptoren zu bilden. Das Ergebnis? Ohne Kaffee sind wir müder als vorher.

Das erklärt, warum sich viele Menschen ohne ihren Morgenkaffee fühlen, als wären sie von einem LKW überfahren worden.


Kaffee und der Stoffwechsel – die Illusion der Fettverbrennung

Ja, Kaffee kann kurzfristig die Fettverbrennung ankurbeln.

Das liegt daran, dass Koffein die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin stimuliert, die den Körper in einen „Fight-or-Flight“-Modus versetzen. Das Herz schlägt schneller, die Energie wird aus den Fettzellen mobilisiert.

Das Problem? Der Körper gewöhnt sich an diesen Effekt. Wer täglich Kaffee trinkt, verliert diese Vorteile nach ein paar Wochen. Glaub mir, nach meinem Jahr fast ohne Kaffee hat ein Espresso wieder so einen richtigen Schub gegeben.

Zusätzlich senkt Kaffee bei gesunden Menschen die Insulinsensitivität, was bedeutet, dass unser Blutzucker stärker schwankt. Kurz gesagt: Wir können Heißhungerattacken bekommen, obwohl wir eigentlich nur einen Kaffee trinken wollten.

Bei Menschen mit einem Prädiabetes kann er aber sogar unterstützend wirken. Zwei Seiten derselben Medaille.


Kaffee als Leistungsbooster – aber mit Nebenwirkungen

Koffein ist eines der wenigen legalen Dopingmittel, das tatsächlich wirkt.

Es steigert die Wachsamkeit, verbessert die Reaktionszeit und kann die körperliche Leistungsfähigkeit erhöhen.

Aber: Wer regelmäßig Kaffee trinkt, merkt irgendwann, dass er immer mehr davon braucht, um denselben Effekt zu erzielen.

Das liegt wieder daran, dass der Körper mit der Zeit mehr Adenosin-Rezeptoren bildet, um das Koffein zu kompensieren. Das Ergebnis? Ohne Kaffee fühlt sich alles schwerfälliger an, und der Körper verlangt nach mehr.

Außerdem sorgt Kaffee für einen Anstieg von Cortisol, dem Stresshormon. Kurzfristig ist das kein Problem – aber wer ständig unter Cortisol-Dauerfeuer steht, kann langfristig mit Schlafproblemen und Energietiefs rechnen.


Kaffee und Nährstoffmangel

Salzverlust durch Kaffee – mehr als nur ein harmloses Problem

Jeder hat schon mal gehört, dass Kaffee entwässert. Das stimmt nicht ganz – aber er sorgt dafür, dass der Körper mehr Salz und andere Elektrolyte über den Urin ausscheidet.

Bei vier Tassen Kaffee pro Tag verliert der Körper etwa einen halben Teelöffel Salz.

Das ist nicht wenig. Ein Mangel an Natrium und anderen Elektrolyten kann sich in Müdigkeit, Muskelkrämpfen und Kopfschmerzen äußern und den Blutdruck beeinflussen. Und nein, hoher Blutdruck muss nicht unbedingt mit einem hohen Salzkonsum zusammenhängen – es kann auch auf einen Salzmangel hindeuten.

Tipp für Viel-Kaffeetrinker: Elektrolyte ergänzen oder eine kleine Prise Salz ins Wasser geben.


Kaffee entzieht dem Körper B-Vitamine

Besonders betroffen sind Vitamin B1, B6, B9 und B12.

Ein Mangel an diesen Vitaminen kann sich in Konzentrationsproblemen, Nervosität, Müdigkeit und Kribbeln in den Nerven äußern.

Viele Menschen denken, ihr Kaffee macht sie wacher – in Wirklichkeit könnte er aber auch die Ursache für ihre Müdigkeit sein.

Wer regelmäßig Kaffee trinkt, sollte sicherstellen, dass er genug B-Vitamine zu sich nimmt – und diese nicht direkt mit Kaffee einnimmt, da er die Aufnahme hemmt.


Kaffee hemmt die Eisenaufnahme

Kaffee kann die Eisenaufnahme um bis zu 39 Prozent reduzieren, wenn er direkt nach dem Essen getrunken wird.

Das betrifft besonders Frauen mit starker Menstruation, Menschen mit Eisenmangel sowie Veganer und Vegetarier.

Wer Eisen optimal aufnehmen möchte, sollte mindestens eine Stunde zwischen Mahlzeit und Kaffee einplanen.


Und nun zu „The Ugly“ – Der dunkle Schatten des Kaffeehandels



Warum Kaffee ein riesiges Geschäft ist – aber nicht für die Bauern

Kaffee ist eine Milliardenindustrie, doch der Großteil des Profits bleibt in den westlichen Ländern.

Viele Kaffeebauern verdienen nur wenige Cent pro Kilo Kaffee, während große Konzerne Milliardengewinneeinstreichen.

Das meiste Geld wird nicht mit dem Rohkaffee verdient, sondern mit der Verarbeitung und Röstung – und genau das passiert in Europa und den USA.


Warum Kaffee nicht im Anbauland geröstet wird

Viele Länder erheben hohe Zölle auf gerösteten Kaffee, aber nicht auf Rohkaffee.

Das bedeutet: Kaffeebohnen werden in den Ursprungsländern für einen Spottpreis verkauft, in Europa oder den USA geröstet und dann mit großem Gewinn weiterverkauft.

Der Kaffee, den du für 10 Euro kaufst, hat den Bauern oft nur ein paar Cent eingebracht.


Fairtrade ist nicht genug – worauf du achten solltest

Fairtrade ist ein guter Anfang, aber es reicht nicht aus.

Das Problem: Auch bei Fairtrade bleibt der Großteil der Wertschöpfung im Westen.

Bessere Alternativen sind:

  • Kaffee von Kooperativen, die den gesamten Verarbeitungsprozess übernehmen

  • Kaffee, der direkt im Anbauland geröstet wird

Ja, diese Kaffees sind teurer. Aber wenn wir bereit sind, für guten Wein oder Schokolade mehr zu zahlen, warum dann nicht auch für Kaffee?


Fazit: Solltest du auf Kaffee verzichten?

Kaffee ist weder gut noch schlecht – es kommt darauf an, wie du ihn nutzt.

Wer viel Kaffee trinkt, kann langfristig Energie verlieren, anstatt sie zu gewinnen.

Ein Selbsttest von vier bis acht Wochen ohne Kaffee kann helfen, herauszufinden, ob er wirklich guttut.

Wenn du nicht auf Kaffee verzichten kannst, dann achte darauf:

  • Deinen Salzkonsum im Blick zu haben

  • B-Vitamine und Eisen nicht direkt mit Kaffee einzunehmen

  • Nachhaltige Kaffees zu kaufen, die fair produziert wurden

Letztlich ist Kaffee ein mächtiges Werkzeug. Aber ein Werkzeug, das du bewusst einsetzen solltest – und nicht eines, das dich steuert.

Wenn du es bis hierher geschafft hast, dann hast du dir einen Kaffee verdient – lass ihn dir schmecken. Und hör dir dazu doch gleich unsere neue Podcastfolge zu dem Theam an. Hier gehts zum Spotify Link und hier zu Apple Podcasts.

 
 
 

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